
Wenn der Präsident von Nintendo of America unerwartet anruft, hebt man sofort ab – diese Weisheit erhielt der Seattleer Designer Chris Maple bereits 1998 von einem Kollegen. Als Gründer von Media Design war Maple auf kreative Schnelllösungen für Kunden wie Boeing und die Seattle Mariners spezialisiert. Sein Ruf, dringende, hochkarätige Projekte zu übernehmen, führte zu diesem schicksalhaften Rückruf.
Die geheimnisvolle Einladung
Nachdem er bereits durch nicht öffentliche Firmenaufträge Vertrauen aufgebaut hatte, wurde Maple zum Nintendo-Hauptsitz in Redmond bestellt. In der Lobby fesselte ein ungewöhnliches Kunstwerk seine Aufmerksamkeit – ein prominent ausgestellter Kristall-Pferdekopf. Ohne es zu ahnen, sollte sich dieser Moment seltsam prophetisch für seinen bevorstehenden Auftrag erweisen.
In einem Gespräch mit dem damaligen Präsidenten Minoru Arakawa erfuhr Maple, dass Nintendo ein neues Logo für das japanische Phänomen "Pocket Monsters" benötigte, bevor es im Westen als Pokémon debütieren würde. Mit nur dreißig Tagen bis zur E3 1998 und gescheiterten Vorgänger-Agenturen lastete ein immenser Druck auf dem Projekt.
Die Erschaffung einer Ikone
Mit minimalen Materialien – etwas Konzeptkunst, kleinen Figuren wie einem winzigen Pikachu und frühen Nintendo-Power-Magazin-Seiten – entwarf Maple per Hand zahlreiche Logo-Varianten auf einem Leuchttisch. Das finale Design musste sowohl in Farbe als auch auf monochromen Game-Boy-Displays funktionieren.
Während seiner Präsentation vor Nintendo-Führungskräften elektrisierte ein bestimmter Entwurf den Raum. "Energie darin", erinnert sich Maple an die gewählte Version, die weltweit erkennbar werden sollte. Nach leichten Verfeinerungen der Buchstaben P und E nach der E3 war das heute ikonische gelb-blaue Emblem vollendet.
Die kulturelle Wirkung des Logos wurde Monate später unbestreitbar, als Maple zufällig auf eine massive Pokémon-Präsentation bei Toys "R" Us stieß. "Heiliger Strohsack", dachte er, als er die erste Begegnung mit seiner Kreation in der Wildbahn erlebte.
Vermächtnis und Rückblick
Während er weiterhin andere Nintendo-Projekte wie die Neugestaltung der Atomic-Purple-N64-Verpackung betreute, bewahrte Maple Diskretion über seinen Pokémon-Beitrag – bis vor kurzem. Nun zeigt er seine Arbeit auf Drängen seiner Familie erstmals öffentlich und reflektiert darüber, wie er unbeabsichtigt die Spielgeschichte prägte.
"Ich fühle mich wirklich... ich fühle mich gut, dass ich die Sache verantwortungsvoll für sie umgesetzt habe", sagt Maple bezogen auf Generationen von Pokémon-Fans. Seine aktuelle Arbeit, in der er benachteiligten Kindern Kunst beibringt, gab ihm eine neue Perspektive auf das kulturelle Gewicht des Logos – besonders wenn Schüler erkennen, dass ihr Lehrer das Pokémon-Branding entworfen hat.
Während Pokémon sich seinem 30. Jubiläum nähert, hofft Maple auf die Gelegenheit, seine Kreation neu zu betrachten: "Da steckt eine Energie und ein Grundgerüst drin, die bei Veränderungen sorgfältige Beachtung verdienen." Der Kristall-Pferdekopf mag verschwunden sein, doch sein zufälliges Zeugnis von der Entstehung der Spielgeschichte bleibt Teil des Pokémon-Ursprungsmythos.
